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"Helfe mir!" - Wenn starke Verben schwach werden

Aktualisiert: 22. Feb.


Falsch gebildete Imperative sind ÜBERALL: "Gebe mir", "Lese etwas vor", "Esse bewusst" ... Aktuell werden diese inkorrekten Formen zementiert durch die Verwendung beim Prompten einer KI. Düstere Aussichten also für die ordentliche Befehlsform.


Ich erlebe so viele grammatikalische Gruselmomente, wenn ich Podcasts konsumiere, Anzeigen, Postings und Plakate sehe oder einfach jemanden reden höre. Was ist mit dem guten alten Imperativ der starken Verben passiert? Vereinfacht gesprochen sollte es so sein: Starke Verben bilden den Imperativ aus der 2. Person Singular ohne die Endung: "du gibst" → "gib", "du isst" → "iss", "du liest" → "lies". Nicht "gebe", "esse" oder "lese", denn diese Verbform ist nur für zwei andere Modi korrekt: Indikativ 1. Person Singular ("ich gebe") und Optativ ("man nehme").


Achten Sie mal drauf, wie oft die Befehlsform falsch gebildet wird. Nach meinem Empfinden ist sie ernsthaft bedroht, denn auch gebildete und belesene Menschen sowie solche, die beruflich schreiben, verfallen der neuen Mode, den Imperativ stets aus der 1. Person Singular zu bilden.


Auf dieser schönen Tafel mit Sinnsprüchen in einer norddeutschen Bäckerei zum Beispiel tauchen gleich drei falsche Imperative auf: "Esse mit allen Sinnen: sehe [...]" und "Esse saisonal". Natürlich muss es "iss" und "sieh" heißen. Ich frage mich, an wie vielen Augen der Entwurf vorbeigegangen ist und wie viele Menschen das abgenickt haben. Ich vermute stark, dass da kein:e Textexpert:in dabei war. Schade, denn das hier tut richtig weh. Und zwar nicht nur mir, denn eine Freundin hat mir dieses Foto geschickt (samt Augen-zu-Äffchen-Emoji).


Werbe- bzw. Imageplakat eines Bäckers mit drei Imperativ-Fehlern: 2x "esse" und 1x "sehe".
Gleich drei falsche Imperative auf einer Imagetafel beim Bäcker - ansonsten professionell gemacht. © privat

Hier wird statt des Imperativs einfach die Verbform der 1. Person Singular verwendet: Ich esse, sehe, rieche, höre, schmecke, fühle. Ich kaufe, genieße und teile. Ich esse, bereite, backe und koche. Ich inspiriere und mache. Rühmliche Ausnahme: "NIMM" statt "nehme" - sehr gut, das ist der korrekte Imperativ! Zufällig richtig sind viele weitere Formen auf dieser Abbildung, nämlich die der besonders leicht zu beugenden schwachen Verben, denn da stimmt der Verbstamm in der 1. und 2. Person Singular überein:

"Kaufe auf dem Markt."

"Genieße mit Freunden."


Bislang haben wir in unserem Sprachgebrauch den Imperativ nur in ausgewählten Situationen verwendet: schriftlich ab und zu im beruflichen Kontext, wenn wir jemanden um Unterlagen bitten, mündlich vielleicht etwas öfter, wenn wir etwa Menschen in der Bahn bitten, weiter durchzugehen, oder Kindern etwas auftragen.


Praktischerweise ist die Imperativ-Bildung für die Ansprache mit "Sie" simpler, nämlich bis auf eine Ausnahme ("sein") mit dem Indikativ:

"Schicken Sie mir bitte die Datei."

"Gehen Sie doch weiter durch."

Wohltuende Fehlerfreiheit also in diesen Fällen bzw. Modi.


Aktuell aber gebrauchen wir die Befehlsform besonders intensiv, wenn wir uns im Prompten einer KI üben, die wir duzen:

"Erstelle eine Tabelle."

"Berechne die Summe X."

"Schlage mir eine Lösung vor."

"Gib mir das Ergebnis von der Wurzel aus 345." (nicht "gebe")

"Lies mir dies und das vor." (nicht "lese")


Hier liegt das Problem wieder bei den starken Verben, die tatsächlich regelmäßig eingetippt werden müssen. Es würde mich nicht wundern, wenn hier die Fehlerquote bereits bei 50% läge - oder darüber. Die KIs werden mit Fehlinformationen gefüttert, und immer mehr Texte online enthalten diese Fehler. Damit geben wir den falschen Formen in unsere Sprache einen festen Platz.


Ist es also nur noch eine Frage der Zeit, bis man als ganz altmodisch gilt, wenn man korrekt beugt? Und wird der falsche Imperativ bald so verbreitet sein, dass er als gültige Alternative irgendwann in den Duden aufgenommen wird? Was das angeht, bin ich ausnahmsweise pessimistisch ...

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